Im letztaktuellen Melissa Abschlussbericht zum Thema Bienensterben kritisierte “Global 2000” die empfohlene Menge für Pflanzenschutzmittel als unzulänglich. Fazit: Pestizide sind der treibende Motor für den rigorosen Rückgang der Bienenvölker. Das Schlagwort in diesem Zusammenhang heißt Neonikotinoide.
Bereits 2009 wurde das Melissa Projekt gestartet, um die Kausalität zwischen dem Bienensterben und der Maisbeize zu untersuchen. Die Ergebnisse laden zum Nachdenken ein: Das Bienensterben ist inzwischen ein weltweites Problem und betrifft immer mehr Landstriche, wie Japan, China, Ägypten, die USA. Allein in Deutschland starben letzten Winter 200.000 Bienenvölker, knapp jeder vierte Bienenstock war betroffen. Die Gründe dafür liegen klar auf der Hand, so Dietmar Niessner, Bio Stadtimker und Leiter der Bienenschule 4 Kids: Befall mit Varroamilben und Diabratica virgifera (Maiswurzelbohrer), Inzucht, Monokulturen sowie Pestizide der modernen Agroindustrie. Seit Jahren beklagen Imker und Imkerinnen in den Maisanbaugebieten ein massives Bienensterben. Ähnlich klare Worte findet auch Georg Rohrauer, Fachexperte für biologische Landwirtschaft und Phytomedizin: Insbesondere der Einsatz von landesüblichen Beizmittel bei Mais, Raps oder Getreide, die beispielsweise gegen die Maiswurzelbohrer eingesetzt werden und Pestizide aus der Wirkstoffgruppe der Neonicotinoide enthalten, schwächen das Immunsystem der Insekten und führen zu neurologischen Folgeerscheinung, wie etwa flugunfähige Bienen mit hypermotorische Koordinationsstörungen. Neonikotinoide blockieren dabei die postsynaptischen nikotinischen Acetylcholinerezeptoren im zentralen Nervensystem der Tiere nahezu unumkehrbar. Dabei handelt es sich um Transmembranrezeptoren in verschiedenen Bereichen des Nervensystems die als Substrat den Neurotransmitter Acetylcholin (ACh) binden. Zu betonen ist auch, dass wir es gerade in den Mais, Raps und Getreideanbaflächen mit einer sehr engen Fruchtfolge zu tun haben, womit die Konzentration an bedenklichen Pestiziden in der Bodenlösung jedes Jahr zunimmt. Begrünungspflanzen, die als Zwischenfrucht angebaut werden, nehmen diese Pestizide aus der Bodenlösung auf und vergiften damit erneut die Insekten.
Neonikotinoide – Vergleichbar mit Karzinogenen
Doch das ist leider noch nicht alles. Im Jahre 2009 arbeitete Universitätsprofessor Dr. Henk A Tennekes an einer profunden Studie, die er kürzlich in seinem Buch „the systemic insecticides: a disaster in the making veröffentlichte. Er attestiert ganz klar, dass die Wirkungsweise der Insektizide aus der Gruppe der Neonikotinoide etliche Gemeinsamkeiten mit krebserzeugenden Chemikalien aufweisen. Darüber hinaus zeigt sich, dass im Bereich der Persistenz und Mobilität der Bodenkultur diese Stoffe leicht aus dem Boden in Wasserläufe und ins Grundwasser gewaschen werden und sich damit immer mehr in der Umwelt ausbreiten. Abgesehen davon sind sie einerseits wasserlöslich und nicht an Bodenpartikel gebunden, andererseits werden sie im Wasser und im Boden sehr schwer abgebaut. Die Anwendung von Imidiacloprid, ein systemisches Insektizid aus der Gruppe der Neonicotinoide, hat bereits zur Belastung der niederländischen Oberflächengewässer geführt. Bereits eine geringe Konzentration in der Umwelt, die unterhalb als der „toxisch geltenden“ Konzentrationen liegt, können über einen längeren Zeitraum schädlich für zahlreiche im Wasser und auf dem Land lebende Wirbellose sein. Setzt man nun Honigbienen über eine geraume Zeit einer niedrigen Konzentration Imidiacloprid aus, so kommt es zu letalen Effekten.
Auswirkungen auf unsere Zukunft?
Nun, was bedeutet das für unsere Zukunft? Der augenfälligste Dienst, den uns die Insekten erweisen, ist die Bestäubung. Allein 90 Prozent unserer Pflanzen werden von Insekten bestäubt. Pflanzen greifen auf tierische Helfer zurück, um männliche und weibliche Individuen zur Befruchtung zusammenzubringen. Insekten leisten diesen Hilfedienst durch den Pollentransport bei einer enormen Zahl von Pflanzen. Als Bestäuber sichern die Insekten also unser Überleben von Wild und Kulturpflanzen- und sind damit unsere Nahrungsgrundlage, so Niessner.
Von den wichtigsten 100 Nutzpflanzen der Welt, die etwa 90 Prozent der gesamten Nahrungsproduktion der Welt liefern, werden mehr als 70 Prozent durch Bienen bestäubt. Rund ein Drittel aller Nahrungsmittel geht direkt auf die Bestäubung durch Insekten zurück. Darüber hinaus sind zahlreiche Tierarten auf Insekten angewiesen. Die meisten Vertebraten benötigen diese als Nahrungsmittelquelle. Bei Süßwasserfischen beispielsweise beträgt die Zahl etwa 40 bis 90 Prozent, bei Amphibien besteht die Nahrungsmittelzusammensetzung ca. zu 75 Prozent nur aus Insekten.
Risikominimierende Maßnahmen
Laut einer Studie „Dosis und Wirkung-Beiträge zur theoretischen Pharmakologie“ von Hermann Druckrey und Karl Kupfmüller zeigt sich eine positive Entwicklung in der Dosis-Wirkungsbeziehung. Das heißt, dass sich die benötigte Gesamtdosis von Imidacloprid durch eine abnehmende Giftkonzentration bereits bei einer Latenzzeit von 48h für einen tödlichen Effekt verringert. Rohrauer dazu: In der Tat ist die von der “AGES” (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) empfohlene Menge für Pflanzenschutzmittel zu hoch angesetzt und führt daher merklich zur Kontamination in der Nahrungsmittelkette. Was ein gesundes Ökosystem künftig benötigt ist die Verpflichtung zur einer Gesamtumstellung auf biologische Landwirtschaft, Vermeidung der Exposition insektizider Beizmittel, strengere Fruchtfolge und Biodiversität. Beizmittel bzw. Bodeninsektizide können ein stetiges Wachstum der Schädlingspopulationen im Dauermais langfristig nicht verhindern. Aufgrund des steigenden Befallsdrucks ist ein regelmäßiger Fruchtwechsel nicht vermeidbar.
Positive Aussichten-Stadtbienen
Parkanlagen, Alleen oder Kleingärten sind geradezu ein gefundenes Fressen für die Honigbiene und kaum wo anders ist die Nahrungsmittelvielfalt so groß wie in der Großstadt. Das warme Stadtklima ist besonders ideal, stimmt auch Dietmar Niessner zu: Wien ist ein geschützter Lebensraum mit einem breit gefächerten Blütenangebot. Allein in seinem Schrebergarten direkt hinter dem Schutzhaus der Schmelz tummeln sich an die 400 000 Bienen. Blühende Aussichten zur Abwechslung einmal, denn insektizid gebeiztes Saatgut ist hier noch kaum spruchreif.
KONTAKTDATEN:
DI Dietmar Niessner
Bio Stadtimker und Leiter der Bienenschule 4 Kids
Camillo – Sitte- Gasse 1/9
1150 Wien
Tel: 0650/4223951
E-Mail:
Web: www.bienenschule.at
Mag. Georg Rohrauer
Fachexperte für biologische Landwirtschaft und Phytomedizin
Rosengasse 15
7321 Lackendorf
Tel/Fax: 02619/67456
E-Mail:
Web: www.bio-rohrauer.at