Paul Habison ist Ernährungswissenschaftler in Wien. Während seines Studiums praktizierte er selber über 9 Monate Rohkost und befasste sich intensiv mit dem Thema Rohkost aus der Sicht der Ernährungswissenschaft. Aus persönlichem Interesse folgte ein Aufenthalt in einer Klinik in Peru, wo er Rohkost als temporäre Nahrung bei einigen seiner Patienten anwendete. Die Ergebnisse laden zum Nachdenken ein. Mehr darüber im Gespräch mit Katharina Fuchs.
Fuchs: Die Erfahrung hat gezeigt, dass viele Menschen das Thema Rohkost kritisch beurteilen -Wie bewerten Sie Rohkost aus der Sicht der Ernährungswissenschaft?
Habison: Zunächst muss zwischen Rohkost als Teil einer gesunden Dauerernährung und Rohkost als temporäre Ernährungsform für chronische Erkrankungen unterschieden werden. Die offizielle Ernährungswissenschaft empfiehlt bekanntlich 5 x täglich eine Portion rohes Obst oder Gemüse zur Gesundheitserhaltung und Prävention. Die Vollwertkost nach Prof. Leitzmann geht noch weiter und empfiehlt einen Rohkostanteil von 50%. Dass rohes Obst und Gemüse sowie Nüsse wertvolle Lebensmittel sind, ist anerkannt. Aber eine reine Rohkost als Dauerernährung sowie als temporäre Nahrung sind von der wissenschaftlichen Seite bis jetzt zu wenig geprüft worden. Mein Kollege Dr. Semler belegte in seiner Doktorarbeit eindrucksvoll, dass jahrzehntelange klinische Erfahrung von über 100 Ärzten mit Rohkost in der Medizin von chronischen Erkrankungen vorliegt.
Fuchs: Sie haben bereits eingangs erwähnt, dass Rohkost bei chronischen Erkrankungen von vielen Ärzten angewendet wurde. Um welche Krankheiten handelt es sich dabei und wie konkret sieht eine solche Rohkosternährungsweise aus?
Habison: Laut den erwähnten Ärzten wirkt sie hervorragend bei praktisch allen chronischen Erkrankungen, d.h. Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Arteriosklerose, bei vielen Krebsformen, Rheumatischen Erkrankungen wie Arthritis und Arthrose, Hautkrankheiten wie Neurodermitis und Akne, Nervenerkrankungen, Nierenerkrankungen, und viele mehr. Selbst bei psychischen Leiden wurden oft erstaunliche Verbesserungen erzielt. Rohkost als temporäre Nahrung verlief dabei so, dass je nach Schweregrad der Krankheit eine vegetarische Vollwertkost mit 50% oder 100% Rohkostanteil durchgeführt wurde. Mit Vollwertkost ist übrigens nicht notwendigerweise der Verzehr von viel Vollkornbrot gemeint. Die individuelle Abstimmung wurde von vielen Ärzten als maßgeblich angesehen. Es ist bedauerlich, dass dieses erprobte Wissen heutzutage auf den Universitäten nicht gelehrt wird. Dies hat einerseits mit der einseitigen Konzentration der Medizin auf Medikamente zu tun und andererseits mit der überholten Meinung, dass eine gesunde Ernährung nur präventiv, aber nicht therapeutisch wirksam ist. Darüber hinaus ist die moderne Rohkostliteratur oft unsachlich geschrieben, was Wissenschaftler und Ärzte häufig leider abhält, der Sache näher auf den Grund zu gehen.
Fuchs: Sie selber haben als Ernährungswissenschaftler Rohkost in einer Klinik in Peru angewendet. Drehen wir die Zeit zurück, was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Habison: Besonders beeindruckt hat mich damals eine 70jährige Frau, dessen Gesundheitszustand kritisch war. Sie hatte beginnende Leberzirrhose, war abgemagert, sehr schwach und hatte sehr schlechte Leberwerte. Unter 100% Rohkost und täglicher Bewegung (mit Gehgestell) besserte sich ihr Zustand zum Staunen der Ärzte schnell, dass sie nach drei Monaten entlassen werden konnte. Diese und ähnliche Erfahrungen sind aber kein Einzelfall und keine Märchen, sie bestätigen nur die bereits erwähnte Jahrzehnte lange klinische Erfahrung. In Anbetracht der weiter steigenden Zahl chronischer Erkrankungen brauchen wird dringend eine vorurteilsfreie auf die Suche nach Gesundheit ausgerichtete Medizin. Eine Medizin, die auf Forschergeist und Menschlichkeit basiert und die der ärztlichen Erfahrung wieder ihren richtigen Stellenwert zugesteht, statt sich nur auf Medikamente und diesbezügliche Studien zu beschränken.
Fuchs: Das Thema Rohkost zeigte bereits viele positive Erfahrungswerte – Was ist Ihrer Meinung nach das Erfolgsrezept der Rohkosternährung?
Habison: Das ist eine Frage, die sich nicht ganz leicht beantworten lässt. Leider ist Rohkost als erprobtes Therapeutikum wissenschaftlich zu wenig geprüft worden. Wir wissen nur, dass sie wirkt aber lange noch nicht ausreichend warum. Was wir wissen ist, dass pflanzliche Rohkost (rohes Obst, Gemüse, Nüsse), meist einen hohen Gehalt an Vitaminen, Mineralstoffen, Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen enthalten. Das sind alles wichtige Substanzen, die in der gutbürgerlichen Kost in geringerer Menge vorkommen.
Darüber hinaus enthält Rohkost meist weit weniger Mengen potentiell schädlicher Substanzen wie Transfettsäuren, Oxycholesterin, Zucker, Purine und Maillard-Produkte, um nur einige zu nennen und man isst meist weniger. Insbesondere zahlreiche Zivilisationskrankheiten sind durch ein Übermaß an Essen zurückzuführen. Das sind alles Themen, mit denen sich die moderne Medizin viel mehrbeschäftigen sollte, denn die weitläufigen klinischen Erfahrungen rechtfertigen eine Prüfung durch kontrollierte Studien schon längst.
Fuchs: Sie haben es bereits kurz angesprochen. Stichwort: Rohkost als Dauerernährung. Abschließend meine Frage, was halten Sie davon?
Habison: Das ist ein interessanter Punkt, zu welchem es leider vorwiegend nur unsachliche Literatur gibt. Ich sehe für die meisten Menschen, ob krank oder gesund keine Notwendigkeit für eine reine Rohkost als Dauerernährung . Dennoch gibt durchaus ernst zu nehmende Berichte von schwer chronisch kranken Menschen, die nach einer frustrierenden Odysee zu unzähligen Ärzten und Therapien nur durch reine Rohkost symptomfrei geworden und geblieben sind. Und Rohkost kann in der Tat unerwartet schmackhaft und abwechslungsreich sein, was auf der Messe demonstriert werden soll und muss bei entsprechendem Wissen keinesfalls zu Mangelerscheinungen führen. Mit etwas Einblick in die Rohkosternährung entdeckt man bald die vielfältige Nahrungspalette, die nicht nur aus Obst und Gemüse besteht. So lassen sich z.B. wundervolle Rohkosttorten kreieren, die auch für Naschkatzen eine willkommene Abwechslung bieten. Es ist praktisch für jeden sehr empfehlenswert, immer wieder ein paar Tage oder Wochen eine Rohkostkur einzulegen. Das mache ich selbst immer wieder. Es ist ein guter Weg der Gesundheitserhaltung, zur Entlastung sowie zur Gewichtsreduktion und um das spezielle Gefühl des Verzichts auf Gekochtes und Gewohntes einmal selber zu erfahren.
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