Nicht nur Bienen, auch wir Menschen nehmen mit der Nahrung verschiedenste chemische Rückstände auf. An einer einzigen Probe Trauben fanden sich beispielsweise gleich zehn verschiedene Pestizide. Wechselwirkungen – also der sogenannte “Cocktaileffekt”- bleiben bei der Zulassung der Wirkstoffe unberücksichtigt.
Rund 450 Wirkstoffe sind für Pflanzenschutzmittel in der EU zugelassen. Allein in Österreich werden 3.455 Tonnen jährlich in Verkehr gebracht. Rund 60 Prozent von konventionell erzeugtem Obst und Gemüse sind mit Pestizidrückständen belastet – meist jedoch unter den gesetzlichen Grenzwerten. Diese höchst zulässigen Rückstandsmengen werden EU-weit einheitlich beim Zulassungsverfahren der Wirkstoffe festgelegt. Dazu wird die erwartbare Rückstandsmenge durch Feldstudien an Kulturpflanzen ermittelt und zur Risikobewertung dem Schwellwert für akute Toxizität und der dauerhaft akzeptablen Tagesdosis ADI (acceptable daily intake) gegenübergestellt. Diese Werte werden im Tierversuch ermittelt und dürfen nicht überschritten werden.
„Bei der Festsetzung der gesetzlichen Höchstwerte wird das Vorsorgeprinzip im Sinne des Konsumentenschutzes zu wenig berücksichtigt“, meint hingegen die Ernährungswissenschafterin Waltraud Novak von GLOBAL 2000. Teilweise werde einfach der Status Quo der landwirtschaftlichen Praxis gesetzlich verankert. In der Tat liegen einige Grenzwerte im zweistelligen Milligrammbereich pro Kilo (z.B. Glyphosat bei Weizen: 10mg). Verglichen mit Trinkwasser, wo für Pestizide ein Vorsorgegrenzwert von 0,1 Mikrogramm gilt, ist das die 100.000fache Konzentration
Laut Novak besonders problematisch sind hormonell wirksame Substanzen, sogenannte endokrine Disruptoren. Diese könnten Einfluss auf Sexualentwicklung, Fortpflanzung und psychisches Wohlbefinden bis hin zu Krebserkrankungen haben. „Bei diesen Substanzen ist mitunter keine Dosis-Wirkungs-Beziehung gegeben – es gibt schlicht keine unwirksame Dosis“, sagt Novak. Auch bleiben Cocktaileffekte, also Wechselwirkungen und Wirkungsverstärkungen verschiedener Chemikalien, bei der Wirkstoffzulassung unberücksichtigt.
Das räumt auch die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) ein: „Da derzeit kein wissenschaftlich fundiertes Modell zur Bewertung einer möglichen Kombinationswirkung von Wirkstoffen bekannt ist, bleibt weiterhin eine solide Einzelstoffbewertung das Mittel der Wahl“. Mit der Nahrung nehmen wir aber viele verschiedene Substanzen zu uns: auf einer einzigen Probe Trauben fanden sich gleich zehn verschiedene Pestizide.
Importkontrollen an den EU-Außengrenzen
Ort der ersten Einfuhr in die EU sind in Österreich nur die Flughäfen Wien Schwechat und Linz sowie zwei Zollstationen in Vorarlberg. Zuständig für die Kontrolle bei der Einfuhr – auch bei pflanzlichen Lebensmitteln – ist der grenztierärztliche Dienst im Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Bei der Einfuhrabfertigung wird auch die Einhaltung der Pestizidgrenzwerte kontrolliert.
Die Menge an Lebensmitteln pflanzlichen Ursprungs, die via Österreich in die EU eingeführt werden und einer verstärkten Kontrolle an den Außengrenzen unterliegen, ist überschaubar – ganze 89 Sendungen mussten im Jahr 2012 überprüft werden. Davon wurden acht Proben gezogen und auf Pestizide untersucht – drei davon waren über dem höchstzulässigen Grenzwert belastet und die Einfuhr wurde verwehrt. “In allen Fällen handelte es sich um Okraschoten aus Indien, denen man sich in Zukunft noch verstärkter wird widmen müssen”, so Georg Brandl, einer der zuständigen Mitarbeiter des BMG.
Marktkontrollen der Lebensmittelaufsicht
Erzeuger und Handel müssen selbst Maßnahmen setzen, die die Einhaltung des Lebensmittel- und Verbraucherschutzgesetzes garantieren. Der Handelsriese REWE geht noch einen Schritt weiter und setzt ein von GLOBAL 2000 entwickeltes Pestizidreduktionsprogramm um. Dabei wurden interne Grenzwerte definiert, die bis zu zwanzigmal niedriger sind, als gesetzlich erforderlich. Die Untersuchungsergebnisse werden laufend veröffentlicht (z.B. auf www.billa.at/prp).
Neben Eigenkontrollen gibt es auch amtliche Marktkontrollen. Zuständig dafür sind die Lebensmittelaufsichten der Länder, die sich am nationalen Probenplan des BMG orientieren. Bei deutlich mehr als der Hälfte aller Stichproben, nämlich 415 von 727, waren Pestizidrückstände nachweisbar. Bei Kohl und Kirschen waren heimische Erzeugnisse sogar häufiger belastet als Importwaren. Insgesamt entsprachen aber nur acht Proben (1,1 Prozent) nicht den gesetzlichen Bestimmungen.
Das europäische Schnellwarnsystem RASFF
Das Fehlen von Zollschranken innerhalb der EU macht einen Informationsaustausch der nationalen Behörden über Gesundheitsrisiken durch Nahrungsmittel unverzichtbar. Dazu gibt es das EU Schnellwarnsystem RASFF (Rapid Alert System for Food and Feed). In der Datenbank von RASFF finden sich Pestizidrückstände auf grünen Bohnen von Marokko und Paprika aus der Türkei ebenso wie Noroviren in Austern aus Irland, Metallstücke in Tiefkühlpizza und Streichwurst aus Deutschland, Listerien in französischem Käse und Kochlöffel und Plastikteller aus China, die Formaldehyd ins Essen absondern. Knapp 400 der rund 7.000 jährlichen RASFF-Meldungen betreffen Pestizide – Tendenz steigend.
Exkurs zum RASFF: Die Initialzündung für das Schnellwarn-System erfolgte 1978 durch einen Sabotageakt der palästinensischen Gruppe „Arab Revolutionary Army“. Diese spritzte Quecksilber in 25 für den europäischen Markt bestimmte Orangen, um damit die israelische Exportwirtschaft zu schädigen. Kaum hatte man in Holland die ersten silbrigen Kugeln in einer Orange gefunden, biss im benachbarten Deutschland auch schon ein Architekt in eine ebensolche hinein. Der Vorfall führte den europäischen Behörden die Notwendigkeit eines rascheren Informationsaustausches drastisch vor Augen und im darauf folgenden Jahr wurden die Weichen für das RASFF gestellt.
Österreich kam bereits lange vor dem EU-Beitritt mit dem Schnellwarnsystem in Berührung. Im Glykolskandal von 1985, der angesichts des wirtschaftlichen Schadens den Weinbauern noch heute das Blut in den Adern gefrieren lässt, versetzten kriminelle Winzer minderwertige Weine mit Frostschutzmittel. Der Wein war solcherart zwar geschmacklich aufgewertet, allerdings auch giftig. Mit Hilfe der aktiven Zusammenarbeit der österreichischen Behörden konnten via Schnellwarnsystem mehrere Millionen Liter Wein aus dem Verkehr gezogen werden und es kam zu keinen ernsthaften Vergiftungen. Weniger glimpflich ging dafür der Methanolskandal in Italien aus: Ein Krimineller hatte dem Wein Spiritus zugesetzt – in Italien sterben 23 Menschen. Buchstäblich über Nacht informierten die Italiener die Behörden in Frankreich mittels des RASFF und so konnten weitere Todesfälle dort verhindert werden. Als wenig später das Kraftwerk von Tschernobyl explodierte und der radioaktive Fall-out Lebensmittel in ganz Europa verseuchte, wurden Informationen via RASFF bereits im Minutentakt ausgetauscht.
Was tun als Konsument?
Waschen oder Schälen hilft, sofern die Pestizide nur oberflächlich an der Frucht haften. Bei Zitrusfrüchten sollte man sich nach dem Schälen die Hände waschen. „Gerade Mandarinen sind oft besonders belastet, weil diese ohne Schalenbehandlung schwer zu produzieren sind“, sagt Waltraud Novak. Nichts hilft gegen sogenannte „systemische Pestizide“, die über das Gefäßsystem der Pflanze in die Frucht hinein gelangen. Ein Tipp: Obst und Gemüse der Saison ist in der Regel weniger gespritzt. Wer aber gar keine chemischen Pestizidrückstände konsumieren will, der muss auf Bio-Produkte ausweichen. „Das Bio-Siegel gibt Sicherheit, dass während der Produktion keine chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel verwendet werden“, so Michael Gartner, Geschäftsführer der LVA GmbH, einer privaten Lebensmittel-Prüfinstitution. Das bestätigen auch behördliche Kontrollen: Alle 32 von der AGES im Jahr 2010 untersuchten Bio-Produkte aus Österreich waren sauber.
Pflanzenkiller „Roundup“
Glyphosat ist ein Totalherbizid und der Wirkstoff in „Roundup“ der Firma Monsanto. Es ist das meist verwendete Pestizid weltweit. Allein in Österreich kommen jährlich 440 Tonnen des Wirkstoffs in Umlauf. Verwendet wird es praktisch überall: in der Landwirtschaft, zur Bewuchsfreihaltung von Industriegeländen, Gleisanlagen, Straßen, Wegen, Plätzen und sogar in privaten Gärten. Umstrittene Studien legen eine fruchtschädigende und kanzerogene Wirkung von Glyphosat nahe. Umweltschützer fordern ein Verbot und auch das österreichische Parlament befasst sich mit der Thematik. Auf EU-Ebene wurde die Zulassung bis 2015 verlängert, ein Erneuerungsverfahren läuft.
Text: Mag. Ludwig Fliesser | Foto: Gillyfish Photo & Graphic Art